Trekking auf dem Vier-Quellen-Weg (Schweiz)

Eigentlich sollte es dieses Jahr auf den Laugavegur ins isländische Hochland gehen, aber der Corona-Sommer 2021 sollte das nicht möglich machen. Was wir uns allerdings als Ersatzprogramm überlegt hatten, hat auf voller Linie überzeugt: Der Vier-Quellen-Weg im Gotthardmassiv in der Schweiz. Ein Grenzgang, den ich in meiner Sammlung an außergewöhnlichen Erinnerungen nicht missen möchte. Unterwegs auf der bedeutendsten  Wasserscheide in Europa nimmt man die vier Quellen des Rheins, der Gotthardreuss, des Ticino und der Rhone mit – für jemanden, der in der Wasserwirtschaft tätig ist ein absoluter Genuss!


Dankeschön

Eins steht eindeutig fest: Paul Dubacher und seine Brüder sind der Vier-Quellen-Weg. Es empfiehlt sich also, sich im Vorfeld bei Paul über den Zustand des Weges zu informieren und die nötigen Tipps abzuholen. Als wir zum Ende Juni 2021 auf dem Weg unterwegs waren, war man mit der Schneeschmelze noch einige Wochen hinterher und die Pässe lagen noch unter Schneefeldern. Der Austausch mit Paul war eine riesengroße Hilfe. Die Kontaktdaten und alles Wissenswerte über den Vier-Quellen-Weg findet man auf der Homepage: https://www.vier-quellen-weg.ch/.

Dann war da mein Begleiter Jan, einer meiner besten Freunde, der mich immer wieder ermutigt hat, weiterzugehen und zur Seite stand, als am letzten Tag der Tour wirklich traurige Nachrichten aus der Heimat kamen.

Beiden gilt mein Dank!

Was hatte ich dabei?

Wieder in Andermatt konnte ich das tolle Wetter nutzen, um alles zu trocknen. Der seltsame Bildeffekt kam vom Kondenswasser an der noch kalten Kamera.

Wie immer bei solchen Touren steht die richtige Auswahl der Sachen an, die man unterwegs mitnimmt. Als leidenschaftlicher Fotograf wägt man natürlich ab zwischen dem Gewicht und den einzigartigen Motiven und Gelegenheiten zu fotografieren. Um es kurz zu machen: Für mich war schnell klar, dass die Pentax K-1 Vollformatkamera mit dem relativ großen 24-70 f/2.8 mit mussten. Für die extra Gelegenheiten, wie die sternenklare Nacht oder der eindrucksvolle Wasserfall, habe ich mich entschlossen, auch ein Reisestativ mitzunehmen. Ich habe für mich einen guten Weg gefunden, die Kamera zu schleppen und immer schnell zur Hand zu haben. Dazu aber später mehr.

Ich hatte schon Erfahrungen aus einigen 2 Tages-Touren, die ich auch mit Jan absolviert habe und wusste schon so grob, was mit musste. Nach kleineren Anpassungen hier und da stand die Liste (Was nicht gut funktioniert hat, habe ich mit einem Sternchen gekennzeichnet):

Am Körper

  • Wanderhose + Gürtel
  • T-Shirt Merino
  • Longsleeve Merino
  • Unterhose
  • Wanderschuhe Wandersocken
  • Wanderschuhe (Halb hohe Zustiegsschuhe)*

Im/am Rucksack (50 l Trekkingrucksack)

Kleidung

  • Regenjacke (Neoshell, 10.000 mm Wassersäule)*
  • Daunenjacke
  • Gamaschen
  • Wandersocken
  • Kurze Hose
  • 2 x Unterhose
  • T-Shirt
  • Sonnenhut
  • Wollmütze
  • Leichte Handschuhe

Technik

  • FF DSLR + 24-70 mm Objektiv + Pol- und Graufilter
  • Reisestativ
  • Speicherkarten 2 x 128 GB
  • Powerbank
  • Stirnlampe + Batterien

Küche

  • Kocher + Piezo-Anzünder
  • 500 ml Titantopf + French press
  • Kaffeepulver
  • Titanlöffel- und -gabel (Kombination)
  • Wasserfilter + Trinkflasche
  • 450 ml Gas

Hygiene

  • Müllbeutel
  • Wäschebeutel
  • Toilettenpapier
  • Stückchen Seife
  • Zahnbürste und Zahnpasta in Tablettenform
  • Sonnencreme

Handtuch (Microfaser)

Schlafen

  • Zelt (1 Personen – Tunnelzelt)
  • Schlafsack (-1°C Komfort / -6°C Komfort limit, 800+ Daune)
  • Schlafpad + Bezug (der gelbe Klassiker unter den leichten Matratzen)
  • Aufblasbares Kissen
  • Ohrstöpsel

Navigation

  • Handy
  • Wanderkarte
  • Kompass

Sonstiges

  • Sitzpad
  • Wäscheleinen
  • Taschenmesser
  • Plastiktüte
  • Sonnenbrille
  • Wanderstöcke
  • 2 x Notdecke
  • Panzertape (etwas Tape um einen runden Stift gewickelt)
  • Erste Hilfe Kit
  • Papiere (Ausweis, Kreditkarte, Zugtickets)
  • Bargeld

Essen

  • 5 x Abendessen (Tactical Foodpack, ca. 100 g/Tüte)
  • 5 x Frühstück (Tactical Foodpack, ca. 100 g/Tüte)
  • Nüsse
  • Müsliriegel

Beim Losgehen waren es stolze 16,5 kg, die ich auf Schultern und Hüfte wuchten musste. Ziemlich viel, wenn man sich das Höhenprofil anschaut, aber so war es und es konnte losgehen.

Anreise und „Basecamp“

Die Anreise mit der Bahn war wirklich entspannt und ist aus meiner Sicht uneingeschränkt empfehlenswert. Komfortabel geht es mit dem ICE von Wuppertal über Köln nach Basel, mit einem Regionalzug weiter nach Göschenen, wo sich dann ein kleinerer Zug dann bis hinauf nach Andermatt geschraubt hat. Dauer inklusive Umsteigezeiten: Knapp unter 9 Stunden. Wenn man sich nicht stundenlang auf die Straße konzentrieren muss, kann man noch richtig Kraft tanken für die nächsten Tage. Das konnten wir auf jeden Fall gut gebrauchen.

Als Basislager war Andermatt mehr als perfekt. Zum Beginn der Wanderung am Oberalppass geht es mit der Bahn. Vom Endpunkt am Rhonegletscher kommt man wunderbar mit dem Postauto zurück nach Andermatt. Der Zeltplatz ist spartanisch, aber das Personal ist freundlich und alles ist sehr sauber.

Trekking mit DSLR (oder DSLM)

Hier gibt es natürlich eine Reihe von Möglichkeiten und jeder hat da natürlich seine Eigenen Vorstellungen. Für mich war eigentlich irgendwann klar, dass die DSLR samt 24-70 f/2.8 Objektiv und Stativ mit muss. Auf einigen 2-Tages-Touren habe ich die Kamera einfach um den Hals gehängt und bei Nichtbenutzung mit dem Objektiv unter den Brustgurt vom Rucksack gesteckt. Das geht eigentlich ganz gut. Manchmal kann es dann mit der Zeit etwas auf die Brust drücken und beim Rausziehen und Reinstecken verhakt sich gerne mal etwas an dem Brustgurt. Jedes Mal die Schnalle zu öffnen und zu schließen ist irgendwann auch nervig… Eine weitere Möglichkeit ist ein Clip, den man an einem Trageriemen des Rucksacks festmacht, sodass man die Kamera mit der Stativplatte einklickt und auf der Brust trägt. Ein cooles System, aber leider für die schwere K-1 von Pentax nicht ganz geeignet. Also habe ich nach etwas Recherche folgendes gemacht: Ich habe meine Kameratasche mit zwei Karabinern und einem Schnürsenkel links an meinem Hüftgurt und links hinten unter dem Rucksack befestigt, sodass die Tasche an meinem linken Bein anliegt. Für mich ist das einfach perfekt! Man kommt schnell ran und es war für mich überhaupt nicht unbequem, die Kamera so zu transportieren. Selbst steilere Passagen und leichtes Klettern ist so möglich.

Auf dem Bild sieht man meine Kameratasche links am Rucksack befestigt – wirklich angenehm!

Tag 1 – Oberalppass bis Maighelshütte

Screenshot aus STRAVA-App

Leute, die den Weg und die Etappen kennen werden jetzt sagen, das ist doch viel zu kurz und sie haben natürlich Recht. Eigentlich fehlt da noch der Maighelspass bis zur Vermigelshütte. Aber eins nach dem anderen. Wir sind also bei schönstem Wetter mit der Bahn zum Startpunkt am Oberalppass gefahren und von dort aus gestartet. Hier lässt der Vier-Quellen-Weg dem Wanderer eine Entscheidungsmöglichkeit: Entweder man geht durch ein langgezogenes Tal zur Maighelshütte oder man wählt den beschwerlichen Weg über den Pazolastock (2.739 m). Was besonders bei schönem Wetter ein Traum mit schönem Weitblick ist, kann natürlich auch etwas anstrengend sein. Vor allem, wenn man gerade gestartet ist und Körper und Geist noch nicht im Trekking-Modus angekommen sind. Wir haben uns für den „Umweg“ entschieden und haben so das erste Mal Bekanntschaft mit den großen Schneefeldern gemacht, die uns die ganze Tour über begleiten sollten…

Aufstieg Pazolastock

Aufstieg Pazolastock

Weiter zur Rheinquelle

Empfehlenswert ist der Umweg aber auch deshalb, weil man von oben auf die Rheinquelle zuläuft und zwangsläufig beeindruckt ist – hat man den Rhein doch gerade erst auf der Anreise mit dem Zug in Köln überquert – mit einem dortigen mittleren Abfluss von knapp über 2.000 m³/s!

Vorderrheinquelle am Tomasee

Nach der Quelle des Vorderrheins (Quelle #1 – check) am Tomasee habe ich an dem Tag echt abgebaut und wir sind noch die Strecke zur Maighelshütte gegangen, um uns erstmal zu stärken. Der Blick hoch auf den Maighelspass in Wolken und die beginnende Dämmerung haben uns dann doch dazu bewogen, in der Nähe der Hütte nach einem Schlafplatz zu suchen. Wichtig ist hier, möglichst nicht in Sichtweite der Hütte zu zelten und kurz Bescheid zu sagen. Vielleicht kennt das Hüttenpersonal auch ein besonders gutes Plätzchen in der Nähe.

Mein Zelt auf der Tour

Tag 2 – Maighelshütte bis Gotthardpass

Screenshot aus STRAVA-App

Über dem Curnera See

Den Schlafplatz über dem Lai da Cumera war wirklich ein Traum, sodass wir auch nach dem Aufstehen den Ort ausgekostet haben. Nach einem Frühstück ging es dann aber an die unangenehme Frage, wie wir die stark verkürzte erste Etappe ausgleichen sollen und wir haben den Entschluss gefasst, einfach 1 ½ Etappen bis zum Gotthardpass zu laufen. Nach unserer Nacht im Kanton Graubünden ging es über den Maighelspass zurück nach Uri, wo wir auch die Wanderung gestartet haben. Der zum Teil zugefrorene Portgerensee, der oben auf dem Pass liegt war wirklich eindrucksvoll, aber der Blick, der sich plötzlich in das Tal der Unteralpreuss auftut, ist gigantisch. Der Abstieg zur Vermigelshütte verlief also mit offener Kinnlade.

Maighelspass

 

Die Hütte hätte eigentlich das Ende unserer ersten Etappe sein sollen und so starteten wir am Mittag des zweiten Tages in Richtung Sellapass, der komplett unter grauen Wolken lag. Auf der Hütte haben wir die Info bekommen, dass erst wenige in dieser Saison über den Pass gekommen sind und manche sogar umgekehrt und zur Hütte zurückgekehrt sind.

Bortwasser (links) und Unteralpreuss (rechts)

Gestärkt und mit einer Mischung aus Respekt und Abenteuerlust ging es auf den Pass. Schon der Maighelspass war menschenleer und auch hier sind wir keinem begegnet. Regen, gewittergrollen im Hintergrund und große und zum Teil steile Schneefelder machen die Begehung auch nicht zu einem Vergnügen. Die Höhenmeter machen es nicht besser, aber irgendwann haben wir uns rüber ins Tessin gekämpft und hoch oben an einer alten Militärstellung unseren Gipfelschnapps getrunken.

Eine wahnsinnige Lichtstimmung

Es war menschenleer und absolut unwirklich, die Schneefelder waren mental und körperlich kräftezehrend, aber die Umgebung war gigantisch. Ich erinnere mich noch gut, dass ich es unfassbar fand, was wir da gerade machten. Es war windig, kalt, aber einfach der Wahnsinn.

Sellapass – Blick zum Gotthardpass

Die ersten Menschen haben wir erst wieder kurz vor dem Lago de la Sella, einem großen Stausee oberhalb des Gotthardpasses, gesehen. Nach einem kurzen und freundlichen Gespräch und dem zermürbenden Abstieg über Schneefelder, die schon so weich waren, dass man immer bis zum Knie einbrach, kamen wir in eine Welt aus Schwergewichtsstaumauern aus Beton, alten Festungsanlagen und Windrädern. Wir waren nicht in einem Bond-Film des letzten Jahrtausends, sondern am Gotthardpass. Es war grau und es kündigte sich Regen an. Also sind wir auf der letzten Rille zum Restaurant am Pass gewandert. An die Älplermagronen, das alkoholfreie Weizen und den Schnapps zum Abschluss erinnere ich mich noch gut. Bei einsetzendem Regen haben wir unsere Zelte aufgebaut und ahnten vielleicht schon, dass es eine schlimme Nacht werden könnte…

Tag 3 – Gotthardpass bis Ronco

Screenshot aus STRAVA-App

Die Nacht am Gotthardpass war dann wirklich nicht schön. Regen und Hagel haben eine beängstigende Geräuschkulisse im Zelt aufgebaut, aber das Gewitter, das direkt am Pass gewesen sein muss, war furchteinflößend. Der Gedanke, dass ein Blitz in die hohen Feldblöcke direkt neben dem Zelt oder in eins der Windräder einschlagen würde konnte mich nicht wirklich beruhigen. Es war taghell im Zelt, wenn die Blitze um uns aufflackerten und die Donner, die praktisch zeitgleich kamen gingen durch Mark und Bein. Wenn man die Hand von Innen ans Außenzelt gedrückt hat, tat es regelrecht weh, wenn die Hagelkörner aufkamen. Am nächsten Morgen war es ruhig, nur die Hagelkörner um das Zelt waren von der Nacht geblieben. Was machen wir hier eigentlich?? Diese Frage zu beantworten wurde nicht einfacher, als wir gehört hatten, dass im Berner Oberland tennisballgroße Hagelkörner ziemlichen Sachschaden angerichtet haben – unsere waren nur groß wie Erbsen.

Das Frühstück am Pass brachte uns auf Temperatur und wir waren bester Laune, wussten nicht, dass die größten Tiefpunkte noch folgen würden. Als wir auf der Westseite des Lucendropasses den Lucendrosee hinter uns ließen, kamen die Schneefelder zurück und wir waren wieder alleine in einer bizarren Welt aus Schnee und Stein, die durch den heftigen Wind und den Regen so unfassbar war, dass ich ein Gefühlsmix aus Ehrfurcht und Staunen hatte.

Auf dem Lucendropass

Schneefeld um Schneefeld, kurze Steininseln im weißen Meer und der Weg immer nur bergauf brachten mich an eine Grenze, die ich so noch nicht kannte. Bis wir oben an einem alten Militärgebäude ankamen, wurde der Wind stärker und der Regen flog horizontal über die weißen Flächen. Plötzlich brach ich an einer Stelle durch den Schnee in einen Schmelzwasserstrom darunter. Es war der Schreck und die Anstrengung, die mich in diesem Moment trafen, aber zum Glück konnte ich mich so schnell hochwuchten, dass nicht viel Wasser in die Schuhe kam. Die Quelle der Gotthardreuss (Quelle #2 – check) habe ich wahrgenommen, aber sprichwörtlich links liegen gelassen, um schnell vom Pass herunterzukommen. Das letzte Schneefeld vor der Hütte oben am Pass zog sich endlos lang. Jan, der körperlich fitter war und ca. 4 km weniger Gepäck eingepackt hatte, lief immer in Rufweite voraus und wartete an schwierigen Stellen wieder auf mich.

Auf dem Lucendropass – Wind, Regen und Donnergrollen

Oben dann wurde das latente Gewittergrollen lauter und die Abstände zwischen Blitzen und dem Donner verkürzten sich, sodass wir unbedingt vom Pass runter wollten. Durch den Schnee wurden wir ausgebremst und dem Bedrettotal näherkommend wurde das Gewitter lauter und schien näher zu kommen. Wir setzten uns an einen großen Felsblock und mussten eine Pause einlegen, um uns zu stärken und um zu überlegen, ob wir den Vier-Quellen-Weg verlassen sollten oder weiter das Bedrettotal entlang zur Piansecco-Hütte laufen sollten.

Wir entschieden uns zum Weitergehen und hatten spontan auf der Piansecco-Hütte ein Zimmer reserviert. Zum Glück wurde das Wetter schlagartig besser und das Bedrettotal im Tessin zeigte sich in seiner ganzen Pracht. Nicht nur von der Vegetation war man über den Lucendropass in eine andere Welt eingedrungen. Die Schilder und Telefonate dort verrieten uns: Hier war alles plötzlich italienisch. Das finde ich an der Schweiz immer wieder faszinierend. So klein und doch voll endloser Vielfalt.

Die Vegetation im Betrettotal ist wirklich besonders

Voller Vorfreude gingen wir in Richtung Hütte. Man hatte uns schon vorgewarnt, dass wir an einer Stelle über einen Fluss springen mussten, weil eine Brücke gerade neuerrichtet wurde, aber was uns am Ri de Ronco erwartete, war anders als ein kleiner Sprung von Stein zu Stein. Die fehlende Brücke war direkt über einem Steilen Wasserfall und die Regenfälle der letzten Tage und Stunden haben den Bach unpassierbar gemacht. Ein weiterer Dämpfer, der nach dem unwirtlichen Pass die mentalen Reserven erneut forderte. Ob es die noch gab, war mir gar nicht so klar, als wir uns durch einen steilen Weg den Wald hinunter nach Ronco bewegten. ‚Einen Schritt nach dem nächsten‘ dachte ich mir nur und tatsächlich kamen wir nass und entkräftet in einem idyllischen Ort an, in dem man mit deutsch nicht weit kam. Am Ende waren wir in einem wunderbaren kleinen Zimmer gelandet, konnten uns Getränke und Pizza bestellen und alles trocknen. Glück gehabt, denn vorgebucht hatten wir ja nichts. Die Dusche war herrlich und am Ende konnten wir über das WLAN das EM-Spiel Deutschland – England gucken. Passend zum Tag verloren die Deutschen, aber wir waren glücklich, im Warmen und Trockenen zu sein und haben nach der Achterbahnfahrt richtig aufgetankt.

Tag 4 – Ronco nach Ulrichen

Screenshot aus STRAVA-App

Der vierte Tag begann so anders, als der letzte aufgehört hat. Die Sonne schien, der Himmel war blau und wir hatten unsere Akkus wieder komplett geladen. Unsere Zelte waren wieder einigermaßen trocken und auch die Schlafsäcke konnten über Nacht ihre Feuchtigkeit abgeben. So ging es dann nach dem Frühstück auf die Talstraße nach Westen, um irgendwie wieder hoch auf den Vier-Quellen-Weg zu kommen. Den Schlafort Ronco kann ich uneingeschränkt empfehlen, aber den Weg, den wir nach oben gewählt haben, gehört in die Kategorie ‚Bitte nicht nachmachen‘. In den Apps, die wir für die Navigation genutzt haben, war ein Weg eingezeichnet, der scheinbar diagonal den Berg hoch führte – fast direkt zur Piansecco-Hütte, die am Tag zuvor eigentlich unser Endpunkt hätte sein sollen. Es war uns nicht klar, dass es diesen Weg nicht mehr gab. Stattdessen fanden wir uns in einem Wald wieder, der so steil war, dass ein Abrutschen keine besonders gute Idee gewesen wäre. Unter dem Bodenbewuchs gab es immer wieder Äste, die von den Regenfällen der letzten Tage nass und rutschig waren. Eine Hand in den Bewuchs gekrallt, eine am Wanderstock haben wir uns Schritt für Schritt weiter in den Schlamassel befördert – der Weg musste doch jeden Augenblick auftauchen. Mit 16 kg auf dem Rücken erinnere ich mich noch gut an die Anstrengung und das mulmige Gefühl. Und dann kam ein Weg und ich habe geschrien vor Glück und Erleichterung – ein Gefühl, dass ich vorher noch nicht kannte.

Und plötzlich waren wir im Paradies. Die Piansecco-Hütte ist wirklich schön. Eine Nacht hier hätte uns wahrscheinlich auch ganz gut gefallen. Nach dem schweißtreibenden Aufstieg aus dem Tal, konnte die Hütte aber auch mit dem alkoholfreien Weizen viele Pluspunkte sammeln. Nach einem kleinen Espresso ging es dann endlich wieder auf den eigentlichen Weg und der hat hier eine Menge zu bieten. Die Vielfalt an Gewächsen an den verwundenen Wanderwegen lässt einen glauben, dass man gerade 500 km weiter nach Süden gebeamt wurde.

Auf dem Weg

Auf dem Weg

Ein absoluter Traum, der sich in den unglaublich artenreichen Alpenwiese am Beginn des Nufenen-Pass fortführt. Hier wird man von Murmeltierrufen erschreckt und sieht schon von weitem die Quelle des Ticino (Quelle #3 – check). 

Und wie ein roter Faden, der sich durch die ganze Tour zieht, kamen dann wieder die Schneefelder und auch am Nufenenpass habe ich irgendwann wieder jedes Gramm auf dem Rücken gespürt, als man bei jedem Schritt nach vorne einen halben wieder den Hang runtergerutscht ist. Ohne das bedrohliche und graue Wetter auf den letzten zwei Pässen habe ich beschlossen, die körperlichen Anstrengungen hinzunehmen und habe mich mit einigen Sitzpausen hoch auf den Pass gekämpft. Dort hatten wir plötzlich das Problem, dass die weißroten Wegmarken, die uns auch mit Schnee ganz gut den Weg gezeigt haben, nicht mehr zu sehen waren. Aus der Karte wussten wir, dass es dort oben auch Seen gibt, die man ungern über ein antauendes Schneefeld überquert.

Auf dem Nufenenpass

Hier war die Navigation mit dem Handy gefragt, was uns ganz gut auf die Passhöhe am Straßenpass geführt hat. Dort gab es ein kleines Souveniergeschäft, in dem man gerade darunter litt, dass der Strom ausgefallen ist. Außerdem waren die Straßenpässe noch nicht so lange offen und die Wanderwege – man vermutet es – noch nicht so frequentiert. Man sagte uns dort, dass man mit der Schneeschmelze so ca. 5 Wochen hinterher war. Für uns Fluch und Segen zugleich – sah die Landschaft doch bizarr und unwirklich aus, auf jeden Fall aber ganz anders als auf der Homepage zum Wanderweg. Wir fanden es toll, dieses Abenteuer einfach schon so lange durchgezogen zu haben.

Auf der Passhöhe habe ich meinem Sohn ein Modell von einem alten Schweizer Postauto gekauft, bevor es dann langsam wieder an den Abstieg ging. Am Nufenenpass mussten wir etwas improvisieren, weil der eigentliche Weg einfach nicht zu sehen war und wir einfach das Schneegestiefel leid waren, so mussten wir uns plötzlich über einen Hangrutsch ins Tal bewegen.

Blick vom Nufenenpass

Bei den Versorgungsleitungen, die zwischen dem Erdreich zu sehen waren, war uns dann auch klar, was es mit dem ausgefallenen Strom oben auf dem Pass auf sich hatte… Pause haben wir dann an einer kleinen Brücke über der Ägene gemacht. Die Füße haben sich über ein kaltes Fußbad gefreut und das taktische Essen, das ja erstmal nur zweckmäßig erscheint, war mal wieder wirklich lecker.

Hütte über der Ägene

Der weitere Weg nach Ulrichen war – kurz gesagt – nass und zäh. Das konnte auch die Kittbrücke nicht ganz ausgleichen. In Ulrichen haben wir am Campingplatz offenbar so einen bemitleidenswerten Eindruck hinterlassen, dass man uns in das derzeit nicht benutzte Partyzelt gesteckt hat. Nach dem Hausschnapps vom Campingplatzbetreiber und einem Gespräch über die späte Schneeschmelze und die wohl immer deutlicher bemerkbaren Wetterextreme in der Schweiz ging es in den warmen Schlafsack.

Die Ägene

Tag 5 – Ulrichen bis zum Nufenenpass

Zugegeben war es bei dem Regen eine willkommene Überraschung, in dem Partyzelt zu schlafen, auch weil wir alle nassen Anziehsachen halbwegs trocknen konnten. Am Morgen ging es nach einem kleinen Snack an der Rezeption wieder auf den Weg. Am Abend zuvor bin ich in einem kleinen Moment der Unachtsamkeit mit einem Fuß umgeknickt und es stand für mich die Entscheidung an, ob ich mit dem Postauto zum Basislager in Andermatt zurückfahre oder die letzte Etappe noch angehe. Der Knöchel war etwas dick, aber ich habe mich entschlossen, mit einem Kompressionsverband und einer Ibuprofen die Sache zu Ende zu bringen. Gesagt getan ging es durch das weite Tal der Rhone flussaufwärts. Die flache Strecke hat mich gut wieder in Stimmung gebracht, vor allem aber konnte ich langsam Erfahrung mit meinem nicht ganz gesunden Fuß sammeln und etwas warm werden, bevor es an den finalen Anstieg ging.

Im Rhonetal

Dann ging es wieder bergan und zeitgleich wurde das Wetter schlechter. Das Umklettern einer Kuhherde mitten auf dem Weg, war nicht optimal für den Fuß und es kamen unangenehme Erinnerungen von der „Abkürzung“ durch den steilen Wald am vorherigen Tag hoch. Einige Stellen waren hier mit Seilen gesichert, aber wir konnten problemlos bis Gletsch raufwandern.

In Gletsch im Ausflugsrestaurant, das übrigens echt zu empfehlen ist, kam dann eine wirklich traurige Nachricht aus der Heimat, die mir kurz den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Zum Glück war da der Jan und dieser unglaublich intensive Trip. ‚Jetzt erst recht!‘ habe ich mir gedacht und wollte den Weg jetzt mit aller Macht auch zu Ende bringen, auch um die Nachricht zu verarbeiten. So sind wir also weiter entlang der Furka-Dampfbahn, bis die Gleise in einem Tunnel in Richtung Realp verschwanden. Da begann der letzte Anstieg hoch zur Furka-Passhöhe und weiter oberhalb der Passstraße in Richtung Rhone-Gletscher. Leider begann es hier noch einmal wirklich stark zu regnen, sodass wir uns nach einem Schlafplatz Ausschau haltend lange wirklich exponiert im Wind und Regen bewegt haben. Hoch oben auf dem Berg gibt es noch einige alte Militärstellungen, die aber zum Teil auch von Steinböcken als Unterschlupf entdeckt wurden, sodass es dort ganz schön stank und als Nachtlager für uns nicht in Frage kam. So haben wir beschlossen, erstmal den Wanderweg zu Ende zu bringen und dann am etwas tieferliegenden Hotel Belvedere unser Glück zu versuchen. Der Endpunkt am Gletscher war trotz Regen eine Wucht. Der Gedanke, dass der Gletscher mal bis runter nach Gletsch gereicht hat und mittlerweile oben auf dem Furkapass in den Gletschersee mündet macht einen etwas nachdenklich, aber auch so ist der Ort gigantisch. Hier ist dann übrigens auch die Steinsäule mit der Aufschrift ‚Rhonequelle‘ (Quelle #4 – check).

Hier war einst der Rhonegletscher

Der Rhonegletscher am Ende des Vier-Quellen-Wegs

Wir haben uns kurz gedrückt und sind dann -mittlerweile durchnässt- runter zum Hotel. Dieses hat schon eine Ewigkeit keinen Gast mehr beherbergt und auch die Geschäfte an der Passstraße hatten allesamt zu. Nach kurzem Umhergehen haben wir uns einfach auf eine Treppe am Hotel gesetzt, die durch einen Balkon vom Regen geschützt war. Hier haben wir unser letztes Abendessen und den Kocher ausgepackt und haben einfach nur gesessen und ein bisschen getrocknet. Leider war meine Regenjacke völlig durch und kalt, aber nach dem Essen hörte der Regen auf. Ich erinnere mich noch an die Menschen, die mit ihren teuren Genussautos über den Pass gefahren sind und uns angeschaut haben als wären wir Außerirdische, aber ich war in dem Moment sehr glücklich, den Weg geschafft zu haben.

Das Nachtlager haben wir über dem Pass an dem Artilleriewerk Glanhütten aufgeschlagen, um uns in den wirklich sonnigen nächsten Tag zu retten.

Der Abschluss in unserem Basislager in Andermatt bei Sonne und blauem Himmel war ein Segen, gab es doch viele emotionale Momente auf der Tour. Als das Schweizer Fußballteam ganz knapp gegen die Franzosen verloren hat, haben wir noch etwas tolles über die Schweizer Fans gelernt. Die Atmosphäre in der Kneipe war einfach super und nach der Niederlage blieb die tolle Stimmung einfach!

 


2 thoughts on “Trekking auf dem Vier-Quellen-Weg (Schweiz)

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